Sag mir, wo die Blumen sind

Ein Film läuft rückwärts

Kaum ein Tag in der Geschichte der Stadt Würzburg hat sich so tief ins Bewusstsein ihrer Bürger eingeprägt wie der 16. März 1945. Am Abend dieses Tages legten englische und amerikanische Bomberverbände die unterfränkische Metropole in Schutt und Asche. Eines der schönsten Stadtbilder Deutschlands war für immer verloren.

Niemand bestreitet die Tatsache, dass die Zerstörung Würzburgs die Folge eines von Deutschland entfesselten Krieges war. Gleichwohl muss die Frage erlaubt sein, welchen militärischen Sinn der Angriff auf eine völlig wehrlose Stadt an einem Tag hatte, an dem der Ausgang des Krieges schon längst entschieden war.

Während das Thema "16. März" den Senioren in meiner Gemeinde immer noch die Tränen in die Augen treibt, fällt es mir zunehmend schwer, meinen Schülern die Bedeutung dieses Tages zu vermitteln. Darum habe ich das getan, was jeder Lehrer tut, wenn er nicht mehr weiter weiß: Ich habe einen Film gezeigt. Dann habe ich mit meinen Schülern das zeitlos schöne und zugleich traurige Lied gesungen "Sag mir, wo die Blumen sind". Der Inhalt dieses Liedes ist schnell erzählt: Mädchen pflücken Blumen. Männer pflücken Mädchen. Männer ziehen in den Krieg. Sie sterben und werden begraben. Und auf ihren Gräbern wachsen Blumen, die der Sommerwind bewegt.

In der nächsten Stunde hatten meine Schüler zwei verrückte Ideen: Sie wollten den Film noch einmal sehen und das Lied noch einmal singen, aber beides verkehrt herum. Nach einigem Zögern ließ ich mich auf das Experiment ein.

Wir sahen noch einmal die brennende Stadt Würzburg. Aber diesmal hatten die aliierten Bomber den Rückwärtsgang eingelegt. Sie saugten den Feuerregen in sich auf und flogen wieder nach Hause. Dann sahen wir SS-Männer ohne Uniform, die den Brand in der Würzburger Synagoge löschten und die Thorarollen wieder zurück in ihren Schrank stellten.

Schließlich haben wir noch einmal das Lied von Marlene Dietrich gesungen. Diesmal ging der Text so: Der Sommerwind bewegt die Blumen. Männer steigen aus ihren Gräbern, sie ziehen rückwärts aus dem Krieg nach Hause. Sie schließen ihre Mädchen in die Arme, die vor Freude Blumen pflanzen.


 

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