Der Seiltänzer

Glauben ohne Angst


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Der Seiltänzer". So lautet der Titel eines Bildes, das der rheinische Expressionist August Macke am Vorabend (1914) des 1. Weltkrieges gemalt hat. Die einfachen Formen und die bunten Farben spiegeln eine heile Welt wider. Doch das dünne Seil lässt erkennen, wie gefährdet diese Idylle ist. Der Seiltänzer balanciert - mit Stab, aber ohne Netz - hoch über dem Marktplatz. Die Menge tief unten hält den Atem an. Doch der Mann geht weiter - Schritt für Schritt - bis zum sicheren Ziel."

Tosender Applaus brandet empor. Die Menge jubelt. "Zugabe", rufen die Leute. Immer lauter wird ihr Geschrei. Da nimmt sich der Seiltänzer eine Schubkarre, steigt noch einmal auf's Seil und fragt die Menge: "Glaubt ihr, dass ich's damit auch schaffe?". "Na klar", rufen die Leute, "kein Problem". "Gut", ruft der Mann zurück, "wer von euch setzt sich dann in die Schubkarre?".

Das Geschrei der Menge verstummt, verwandelt sich in entsetztes Schweigen. Keiner will in die Schubkarre steigen. Wirklich keiner? Doch, da meldet sich ein kleiner Junge! Die Leute wollen ihn noch warnen, doch zu spät. Der Junge steigt in die Schubkarre, und der Seiltänzer beginnt mit seiner abenteuerlichen Fahrt. Da plötzlich, ein Windstoß. Er rutscht, verliert die Schubkarre. Doch nein, er hat sich schon wieder gefangen. So balanciert er - Schritt für Schritt - bis zum sicheren Ziel.

Es folgt einer donnernder Applaus, noch lauter als zuvor. Die Menge bestürmt den Jungen: "Hast du denn keine Angst gehabt - mit einem fremden Mann auf dem Seil?". "Wieso denn?", sagt der Junge. "Das ist doch mein Vater!".

Diese Geschichte ist für mich wie ein Bild, am Vorabend eines Krieges gemalt. Ich weiß nicht, ob dieser Krieg stattfinden wird, und noch viel weniger, wie er ausgehen wird. Aber ich weiß, wer diese große Welt und auch mein kleines Leben fest in seinen Händen hält. Der Mann mit der Schubkarre ist kein Fremder. "Das ist doch mein Vater!".


 

Bild oben: Der Seiltänzer. August Macke, 1914

 

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