Nachgedacht

Auch Kirchenmauern werden fallen

In diesen Tagen jährt sich der Fall der Mauer zum zehnten Mal. Der 9. November 1989 bezeichnet den ersten Schritt zur Wiedervereinigung beider deutscher Staaten. Die deutsche Einheit ist nicht der Einsicht der Politiker zu verdanken, sondern dem Mut vieler DDR-Bürger, die in Berlin, Leipzig und anderswo auf die Straße gegangen sind. Sie haben erst "Wir sind das Volk" und dann "Wir sind ein Volk" gerufen.

Die Mauer zwischen den beiden Konfessionen besteht leider immer noch. Ich träume davon, dass eines Tages mutige Katholiken und Protestanten auf die Straße gehen und rufen "Wir sind die Kirche" und vielleicht auch einmal "Wir sind eine Kirche". Mit einer Einigung der Kirchenleitungen rechne ich nicht, auch wenn der vergangene Sonntag die Ökumene einen Schritt weitergebracht hat.

Am 31. Oktober haben Vertreter des Vatikans und des Lutherischen Weltbundes in Augsburg die "Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre" unterzeichnet. Damit wird ein Schlussstrich unter die Lehrstreitigkeiten der Reformationszeit gezogen, die zur Spaltung der abendländischen Kirche geführt haben.

Dass Kirchendiplomaten dieses Ereignis als "Meilenstein der Ökumene" feiern, erscheint mir reichlich übertrieben. Denn die Einigung erfolgt in einer Frage, die am Ende des 20. Jahrhunderts kaum noch einen Menschen interessiert.

Martin Luther hatte sich am Anfang des 16. Jahrhunderts mit der Frage beschäftigt: "Wie finde ich einen gnädigen Gott?". Er hatte die Rechtfertigung des Sünders allein durch den Glauben gepredigt und damit den Anteil der Kirche an der Gnadenvermittlung in Frage gestellt.

Die Kirche wehrte sich dementsprechend heftig. Doch Martin Luther erklärte auf des Reichstag zu Worms: "Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen". Dieser Mut führte zur Kirchenspaltung. Noch viel mehr Mut gehört dazu, die Kirche wieder zu vereinen.

Papst Johannes XXIII. hat es zumindest versucht. Er war ein Hoffnungsträger - nicht nur für katholische, sondern auch für viele evangelische Christen. Freilich gab es auch Widerstände in den eigenen Reihen. Aber Johannes XXIII. ließ sich nicht beirren. Auf dem 2. Vatikanischen Konzil soll er zu seinen Kardinälen gesagt haben: "Hier sitze ich. Ich kann noch ganz anders. Gott helfe euch. Amen".

Was dieser Papst begonnen hat, werden die Gläubigen an der Basis vollenden: Sie werden die Mauer zwischen den Konfessionen zum Einsturz bringen, weil sie keine Bedeutung mehr hat.


 

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