Rührmichnichtan

Eine Pflanze und ihr Gärtner

"Noli me tangere". Dieses bekannte Zitat stammt aus der lateinischen Übersetzung der biblischen Ostergeschichte. Der Evangelist Johannes berichtet davon, dass Maria Magdalena vor dem Gartengrab um den verschwundenen Jesus trauert und dabei dem auferstandenen Christus begegnet. Sie hält ihn zunächst für den Gärtner und erkennt ihn erst, als er ihren Namen nennt. Dann will sie ihn berühren, doch er weist sie zurück: "Rühr mich nicht an".

Diese Szene ist in der christlichen Kunst ungezählte Male dargestellt worden. So gibt es in der Pfarrkirche St. Magdalena zu Münnerstadt ein Holzrelief von Tilman Riemenschneider, das die Begegnung von Maria und Christus zeigt. Auch zahlreiche Gemälde tragen den Titel "Noli me tangere". Sie stammen von Correggio, Tizian, Hans Holbein dem Jüngeren, Paolo Veronese, Rembrandt und anderen. Den rätselhaften Gestus von Correggio überträgt Picasso – im Rahmen seiner blauen Periode – auf das Bild "La Vie" und macht das "Rühr mich nicht an" so zu einer Chiffre für das Leben.

In der Psychologie steht das "Noli me tangere" für einen Menschen, dessen Verhalten von sexuellen Tabus bestimmt ist. Und in der Botanik ist das Rührmichnichtan ein volkstümlicher Name für das Große Springkraut, dessen Same bei Berührung der reifen Kapsel herausgeschleudert wird: Ein toller Spaß für Kinder jeden Alters, das den Ernst des biblischen Zitats jedoch nicht ganz vergessen lässt.

"Noli me tangere", das heißt ganz offensichtlich: Christus entzieht sich dem Zugriff des Menschen. Er lässt sich nicht vereinnahmen. Auch nicht von denen, die an ihn glauben. Er verkleidet sich als Gärtner oder als Wandersmann. Und während seine Jünger ständig von ihm reden, verschweigt er seinen Namen. Er verschweigt sich - und teilt sich aus. Beim Abendmahl sagt er nicht "Rühr mich nicht an", sondern er sagt "Nimm hin und iss, das ist mein Leib".

Bei ihm kann man lernen, mit Nähe und Distanz richtig umzugehen: Anteil zu nehmen, ohne sich einzumischen. Interesse zu zeigen, ohne neugierig zu sein. Persönlich zu sein, ohne privat zu werden. Den anderen zu lieben, ohne ihn besitzen zu wollen.


 

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