Nachgedacht

Silvester in der Missio

"Ausgerechnet heute", dachte sich Guiseppe. Der Pizzabäcker aus Napoli hatte an diesem Abend alle Hände voll zu tun. Denn schließlich war es der letzte Silvesterabend des Jahrtausends. Herd und Ofen waren voller Pizza und Pasta. Und draussen im Ristorante saßen zahlreiche Gäste aus Würzburg und Umgebung.

Ausgerechnet heute rief seine Verlobte Maria an. Sie schrie förmlich ins Telefon: "Mamma mia, so hilf mir doch. Ich muss ins Krankenhaus. Und zwar sofort". Guiseppe hatte keine Wahl: Er verließ seine Küche in der Zellerau und machte sich auf den Weg.

Es war schon spät, als die beiden endlich in der Missio eintrafen. Mit letzter Kraft warf sich Maria auf ein weiß bezogenes Bett. Sie schrie vor Schmerzen. "Ausgerechnet heute", dachte sie sich. "Was mag jene Frau empfunden haben, damals vor zweitausend Jahren?". Sie klammerte sich an die Hand ihres Mannes. Der war genauso hilflos wie sie. Schließlich war es für beide das erste Mal.

Maria warf ihren Kopf auf dem Kissen hin und her. Schweißperlen rollten über ihr Gesicht. Sie spürte den Einstich einer Nadel, hörte das Klappern von Instrumenten und das aufgeregte Durcheinander von Stimmen. Maria presste sich dem Schmerz entgegen, der in Wellen ihren Körper erfasste. Sie kämpfte und schrie, so laut sie konnte. Dann sah sie nur noch Sterne.

Als sie ihre Augen wieder öffnete, erblickte sie vor sich drei Männer in weißen Kleidern. Der erste sah aus wie der Professor, ein graumelierter Herr mit einer goldenen Armbanduhr. Der zweite war wohl sein Assistent, ein gepflegter Mann mittleren Alters, der allerdings viel zu stark nach Parfüm roch. Marias Blick wanderte weiter zu dem dritten. "Ein Farbiger", dachte sie erschrocken. "Wahrscheinlich so ein Medizinstudent aus Afrika. Jung, schwarz und unerfahren". Maria wollte sich gar nicht mehr beruhigen. "Warum lassen sie den an mich heran?", fragte sie sich. "Kann das nicht ein deutscher Arzt machen?".

Der Farbige sah den Blick der Maria, er spürte ihr Misstrauen. Doch er ließ sich nicht beirren. "Es ist Mitternacht", sagte er plötzlich. Er sprach in einem klaren verständlichen Deutsch. "Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes neues Jahr". Dann überreichte er Maria seine Morgengabe. Die beiden anderen Männer lächelten.

"Die drei Könige", dachte Maria. Ihre Schmerzen waren vergessen, ihre Vorurteile überwunden. Sie hörte nur noch das Knallen der Silvesterraketen und das Läuten der Kirchenglocken. Dann strich sie dem Kind unglaublich zärtlich über seinen winzigen flaumigen Schopf.


 

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