Andachten

Socken zu Weihnachten
Niemand mag Socken zu Weihnachten – so heißt ein Werbespot, den der Online-Händler Geschenkidee vor sechs Jahren erstmals ausstrahlte. In dem Video vermiest eine Socke mit fiesen Einwürfen und Kommentaren einer Familie das Weihnachtsfest. Die Zuschauer sollten die Produkte des Internetanbieters als bessere Alternativen zu den traditionell häufig verschenkten Socken entdecken. Der schwarze Humor, der hinter den Worten der Socke steht, machte den Werbefilm einerseits berühmt. Andererseits erntete das Unternehmen viel Kritik. Auch löste das Video eine Debatte darüber aus, ob Socken wirklich ein so verstaubtes, ungeeignetes Verlegenheitsgeschenk sind.

„Ich mag sehr wohl Socken zu Weihnachten“, schrieb ein Internetnutzer in einem Beitrag, „warme, selbstgestrickte Socken sind für mich ein tolles Geschenk“.

Auch ich mag Socken zu Weihnachten. Dabei denke ich an drei Paar Socken, die für mich etwas ganz besonderes sind.

Das erste Paar hat mir meine Schwiegermutter vor ein paar Jahren zu Weihnachten geschenkt. Es handelt sich um selbstgestrickte Socken mit schwarz-blau-weißen Streifen. Auf einer Winterwanderung letztes Jahr im Fichtelgebirge habe ich gemerkt, wie gut diese Socken wärmen.
Das zweite Paar habe ich mir selbst vor ein paar Wochen gekauft, in unserer Kirche nach dem Gottesdienst auf einem Basar. Diesen Basar gibt es jedes Jahr an zwei Sonntagen im Advent. Eine nette Frau, die als Sozialarbeiterin straffällig gewordene Frauen betreut, organisiert ihn immer. Sie bietet Dinge an, welche Frauen in der Würzburger Justizvollzuganstalt genäht, gemalt, gebastelt oder gestrickt haben: Bilder, Täschchen, Weihnachtsschmuck, Mützen und Socken. Der Erlös kommt den Frauen in der Haft zugute. Ich habe ein paar lange, dunkelgraue Socken mit rosa Ringeln und Zopfmuster gekauft. Immer, wenn ich die Socken aus dem Schrank hole, anziehe oder hineinlege, denke ich an die Geschichte, die sie erzählen könnten. Eine Frau im Gefängnis hat sie gestrickt. Vielleicht hat sie viele Stunden dazu gebraucht, weil sie erst vor kurzem das Stricken gelernt hat. Vielleicht hat sie die Socken aber auch – als routinierte Handarbeiterin – ganz schnell gestrickt. So wie eine Großtante von mir. Sie hat immer abends vor dem Fernseher gesessen und gestrickt, und so ein paar Socken hat sie manchmal an einem Abend fertig bekommen.

Ich habe ein Paar wärmende Socken mit Ringeln von meiner Schwiegermutter. Und ich habe ein Paar wärmende Socken mit Zopfmuster, gestrickt von einer Frau aus dem Gefängnis, die ich nicht kenne.

Aber da ist noch das dritte Paar: beigefarbene Socken aus einem Gemisch aus Kamel- und Yakwolle, mit einem ganz feinen Zopfmuster. Eine Frau, die aus Ulan-Bator in der Mongolei stammt, hat sie mir in der Woche vor dem vierten Advent geschenkt. Ich arbeite in einem Bildungswerk für blinde und sehbehinderte Menschen. In dem Zentrum gibt es auch Deutschkurse für Migranten mit Erblindung und Sehbehinderung. In diesen Kursen unterrichte ich. Der Kurs, in dem die Frau ist, ist ein Anfängerkurs und ich hatte den Kurs nur zwei Tage als Vertretung. Einen Tag, bevor die Teilnehmer wegen des Corona-Lockdowns nach Hause geschickt wurden, kam die Frau aus der Mongolei zu mir und sagte, sie habe etwas für mich. Die Frau ist blind und sie suchte und tastete eine Weile in ihrem Rucksack. Dann zog sie das Paar Socken hervor, zusammen mit einer Packung Schokoladen-Weihnachtsmänner. Mich in dem großen Gebäude zu suchen und zu finden, muss ihr aber die größte Mühe gemacht haben. Inzwischen habe ich einiges im Internet über mongolische Yaks und Kamele gelesen. Die Wolle dieser Tiere hält besonders gut Wasser ab. Und sie hält besonders warm. Dann habe ich einiges über die Mongolei gelesen und mir Bilder angeschaut. Die Mongolei ist seit 1992 eine parlamentarische Demokratie. Die Wirtschaft wächst seit 30 Jahren stetig. Aber 43 Prozent der drei Millionen Mongolen leben unterhalb der Armutsgrenze, darunter viele Kinder und Jugendliche. Das Land ist mehr als viermal so groß wie Deutschland und hat 25 Mal weniger Einwohner. Ich habe mir Bilder angeschaut, nicht nur von Yaks und Kamelen, auch von Jurten, von buddhistischen Tempeln, von der Wüste Gobi, hohen Bergen und weiten Steppen.

Wenn diese furchtbare Seuche vorbei ist, würde ich gern in dieses wunderschöne Land fahren. So ein schöner Traum, geschenkt durch ein Paar Socken.

Ja, ich mag wirklich Socken zu Weihnachten. Amen.

Gisela Burger


Foto: Gisela Burger






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